Die Geschichte des Transgender Day of Remembrance (TDOR)
Der Transgender Day of Remembrance (TDOR), auch bekannt als Internationaler Gedenktag für trans* Geschlechter, ist ein jährliches globales Ereignis, das am 20. November begangen wird. Es dient der Trauerarbeit um trans* und genderdiverse Menschen, die aufgrund von Transphobie – also Vorurteilen und Hass gegenüber trans* Personen – ermordet wurden. Der Tag soll nicht nur gedenken, sondern auch auf die anhaltende Gewalt gegen trans* Menschen aufmerksam machen, ihre Namen ehren und zu mehr Sichtbarkeit und Schutz beitragen.
Im Folgenden erklären wir die Geschichte des TDOR Schritt für Schritt, basierend auf historischen Fakten und Entwicklungen.
Die Ursprünge: Tragische Morde als Auslöser (1995–1998)
Die Wurzeln des TDOR liegen in einer Kette brutaler Morde an trans* Frauen, die in den USA, speziell in Massachusetts, die trans* Community tief erschütterten. Diese Ereignisse machten die systematische Gewalt gegen trans* Personen sichtbar und weckten den Bedarf an einem organisierten Gedenken.
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Der Mord an Chanelle Pickett (1995): Am 20. November 1995 wurde Chanelle Pickett, eine 23-jährige Schwarze trans* Frau, in Watertown, Massachusetts, erstochen. Sie war Prostituierte und wurde von einem Freier getötet. Der Täter, William Cross, wurde zwar verurteilt, aber der Fall enthüllte tiefe Vorurteile in der Justiz und Medienberichterstattung. Pickett’s Tod führte zu spontanen Vigils (Kerzenwachen) und der Gründung der Gruppe “Remember Chanelle” am 18. Dezember 1995. Die Aktivistin Nancy Nangeroni dokumentierte den Fall und kämpfte für respektvolle Medienberichte.
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Der Mord an Monique Thomas (1998): Im September 1998 wurde Monique Thomas, eine weitere Schwarze trans* Frau, in Dorchester, Massachusetts, ermordet. Ihr Fall wurde in das Webprojekt “Remembering Our Dead” aufgenommen, das von Gwendolyn Ann Smith betrieben wurde und trans Opfer weltweit auflistete. Obwohl ihr Tod nicht im Zentrum der TDOR-Gründung stand, trug er zur Sensibilisierung bei.
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Der Mord an Rita Hester (1998): Der entscheidende Auslöser war der brutale Mord an Rita Hester am 28. November 1998 in Allston, Massachusetts. Die 34-jährige schwarze trans* Frau wurde in ihrer eigenen Wohnung mit 20 Messerstichen getötet. Ihr Tod löste eine Welle der Trauer aus: Am 4. Dezember 1998 fand eine Kerzenvigil mit etwa 250 Teilnehmer:innen statt. Nangeroni und andere Aktivist:innen drängten Medien wie den Boston Herald und Bay Windows, Hester’s Identität respektvoll zu berichten – ein Kampf gegen die gängige Praxis, trans Opfer zu entwürdigen oder totzuschweigen.
Diese Ereignisse, alle in Massachusetts, und vor allem betroffen: schwarze trans* Frauen, unterstrichen die Schnittstellen von Transphobie, Rassismus und Armut.
Diese Morde waren nicht isoliert: Sie waren Symptome einer breiteren Krise. Das Webprojekt „Remembering Our Dead“, das Smith seit 1999 führte, sammelte Namen und Geschichten trans* Opfer weltweit und wurde zum Katalysator für ein strukturiertes Gedenken.
Die Gründung des TDOR (1999)
Im Jahr 1999 formierte sich eine kleine Gruppe von Aktivist:innen, um ein wiederkehrendes Gedenken zu etablieren. Die Schlüsselfiguren waren:
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Gwendolyn Ann Smith: Eine trans* Aktivistin, Journalistin und Gründerin des „Remembering Our Dead“-Projekts. Sie initiierte den TDOR als jährliche Vigil, um Hester zu ehren und die Namen weiterer Opfer auszusprechen.
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Nancy Nangeroni: Aktivistin, die die Morde dokumentierte und für mediale Sensibilität kämpfte.
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Jahaira DeAlto: Eine weitere Mitgründerin, die an der Organisation der ersten Events beteiligt war.
Der erste offizielle TDOR fand am 20. November 1999 statt – genau zum Jahrestag von Chanelle Pickett’s Tod, um den November als Monat der Trauer zu rahmen. Es gab Events in Boston und San Francisco, darunter Kerzenvigils und Namenslesungen. Der Fokus lag auf den Opfern der letzten 12 Monate (vom 1. Oktober des Vorjahres bis 30. September des laufenden Jahres). Smith betonte: „Wir erinnern uns, wir widerstehen, wir erheben uns“ – ein Motto, das bis heute gilt.
Entwicklung und globale Ausbreitung (2000er bis heute)
Aus einem lokalen US-amerikanischen Vigil entwickelte sich der TDOR rasch zu einem internationalen Phänomen. Die Aktivitäten erweiterten sich über bloße Trauer hinaus: Sie umfassen heute Kerzenwachen, Märsche, Kunstinstallationen, Filmaufführungen, Spendenaktionen und kirchliche Gottesdienste. Der Kern bleibt die Lesung der Namen der Opfer, oft mit Fotos und Geschichten.
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Frühe Expansion (2000er): In den 2000er Jahren verbreitete sich der TDOR über Nordamerika hinaus. Organisationen wie Transgender Europe (TGEU) übernahmen die Koordination in Europa und veröffentlichen jährlich Berichte über trans* Mordopfer (z. B. der „Trans Murder Monitoring”-Report). Bis 2010 wurde der Tag in über 185 Städten in mehr als 20 Ländern begangen.
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Integration in breitere trans* Monate: Seit 2009 ist der TDOR Teil der „Transgender Awareness Week” (14.–20. November), die von der Organisation Gender Education and Advocacy initiiert wurde. Er kontrastiert mit dem Internationalen Transgender Visibility Day am 31. März, der Feier und Sichtbarkeit betont.
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Politische Meilensteine:
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2017: In Kanada verabschiedete die Provinz Ontario das “Trans Day of Remembrance Act”, das den TDOR offiziell anerkennt und eine jährliche Schweigeminute im Parlament vorschreibt.
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2020/2021: US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris erkannten den TDOR erstmals offiziell an. Biden verurteilte die Gewalt gegen trans* Frauen und forderte den Equality Act. Außenminister Antony Blinken integrierte trans* Rechte in die US-Außenpolitik. Am 18. November 2021 las die Abgeordnete Ayanna Pressley im US-Repräsentantenhaus die Namen von 46 ermordeten trans* Personen vor, unterstützt von der LGBTQ+-Equality Caucus.
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Globale Berichterstattung: TGEU und andere NGOs tracken jährlich Hunderte Fälle; 2023/2024 lagen die dokumentierten Morde bei über 350 weltweit, mit einem Fokus auf trans* Frauen of Color in Lateinamerika und den USA.
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Heute findet der TDOR in Hunderten Städten statt, oft virtuell ergänzt (z. B. via Zoom seit der Pandemie). Er verbindet Trauer mit Aktivismus: Viele Events fordern bessere Gesetze, Anti-Diskriminierungsmaßnahmen und Medienverantwortung. Dennoch bleibt die Dunkelziffer hoch – viele Morde werden nicht als „transmotiviert“ erkannt.
Bedeutung und Vermächtnis
Der TDOR ist mehr als ein Gedenktag: Er ist ein Akt des Widerstands gegen Vergessen und Stigmatisierung. Durch die Betonung von Namen und Geschichten macht er trans Leben sichtbar und fordert Veränderung. Figuren wie Monica Roberts (Gründerin von TransGriot) trugen zur Professionalisierung bei, indem sie lokale Events koordinierten. 4 In Zeiten wachsender transfeindlicher Gesetze (z. B. in den USA) gewinnt er an Dringlichkeit.
Statistik für den Zeitraum 01.10.2024 - 30.09.2025
Die Webseite "Remembering Our Dead" sammelt Berichte zu trans* und genderdiversen Personen, die durch Gewalt, Mord oder Suizid verloren gegangen sind. Die Daten für den TDOR-Zeitraum 2025 (01.10.2024 – 30.09.2025) umfassen 367 dokumentierte Berichte weltweit, ergänzt durch die "Trans Murder Monitoring" (TMM)-Daten von TGEU, auf die die Seite verweist. Diese Zahl ist eine Schätzung, da die Dunkelziffer hoch ist – viele Fälle werden nicht als trans*motiviert erkannt oder gemeldet.
Die Statistik basiert auf verifizierten Einträgen, die hauptsächlich Morde durch trans*feindliche Gewalt und Suizide umfassen. Andere Ursachen (z. B. medizinisch oder unkategorisiert) machen den Rest aus. Die meisten Opfer sind trans* Frauen (ca. 90 %), oft of Color und in vulnerablen Positionen (z. B. Sexarbeit).
Gesamtzahlen
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Total Berichte: 367
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Davon Morde/Gewalt: 312 (85 %)
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Davon Suizide: 39 (11 %)
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Andere (medizinisch, unkategorisiert, in Haft): 16 (4 %)
Breakdown nach Region/Land
Die Gewalt konzentriert sich auf Lateinamerika. Hier eine Übersicht (Länder gruppiert in Regionen):

Breakdown nach Typ

Breakdown nach Methoden bei Gewalt/Morden

Von den 351 Fällen mit Methode (n=304 für Gewalt, n=39 für Suizide; 63 nicht berichtet)
Breakdown nach Methoden bei Suiziden

Breakdown nach Altersgruppen





